Eine Handvoll gute Gründe für mehr Selbständigkeit

Niemals zuvor waren wir derart abhängig vom reibungslosen Funktionieren der Gesellschaft wie heute. Unsere Nahrung wird „just in time“ aus den entlegensten Winkeln der Welt herangeschafft. Wie schnell solche Lieferketten einbrechen können, hat die Corona-Pandemie eindrucksvoll gezeigt.

Die Produktion vor Ort könnte im Ernstfall nicht einmal mehr einen Bruchteil der Bevölkerung ernähren. Praktisch alle „lebenserhaltenden“ Systeme hängen von der freien Verfügbarkeit elektrischen Stromes und funktionierenden elektronischen Steuereinheiten ab.

Ohne Strom gibt es innerhalb weniger Stunden kein Trinkwasser mehr. Das Abwasser „verschwindet“ nur dank zahlloser Pumpstationen. Benzin kann an Tankstellen nur mithilfe elektrischer Energie gezapft werden. Heizen ohne Strom? Selbst wenn Heizmaterial zur Verfügung steht oft eine Unmöglichkeit, weil die Umwälzpumpen nicht mehr laufen.

Im Rahmen einer Studie wurde vor ein paar Jahren versucht, die Auswirkungen eines an und für sich trivial erscheinenden Ereignisses, nämlich eines landesweiten Stromausfalles in Österreich, abzuschätzen. Das Ergebnis: Es macht keinen Sinn, mehr als drei Tage in der Modellrechnung zu betrachten, danach wird die Situation unkontrollierbar chaotisch.

Noch vor einhundert Jahren verfügte praktisch JEDER Mensch über einen grundlegenden Satz von Selbsterhaltungsfähigkeiten. Egal wer man war, oder wo man lebte, es war praktisch unmöglich nicht zu wissen, wie Butter gemacht wird, wie man jagt, oder Tiere züchtet und schlachtet, wie ein Garten angelegt und gepflegt wird, wo das Holz oder die Kohle für den Ofen herkommt und wie man Kleidung herstellt, pflegt und repariert.

Auch wenn die Situation manchmal stark übertrieben dargestellt wird: Vereinzelt gibt es heutzutage tatsächlich Kinder, für die Milch nur noch ein Produkt aus dem Supermarkt ist, ohne Zusammenhang zu den komischen Tieren namens „Kuh“. Schuhe gibts im Laden, wenn sie kaputt sind kauft man neue. Das Geld dafür liefert der Geldautomat.

Und was wenn das einmal nicht mehr funktioniert? Wer weiß noch, wie man Tomaten vermehrt? Wer kann Wärme und Licht für sich selber und die Familie erzeugen, ohne dabei vom fehlerfreien Handeln tausender anderer Menschen abhängig zu sein?

Es gibt viele gute Gründe, gründlich über mehr Unabhängigkeit nachzudenken:

  • Mehr Schutz vor Inflation. Auch wenn mit verschiedensten Maßnahmen versucht wird, den Effekt zumindest oberflächlich zu verschleiern, die immer noch anhaltenden Folgen der Finanzkrise von 2008 beglücken uns mit kräftig wachsenden Lebenshaltungskosten. Gerade die Lebensmittelpreise werden sich nicht mehr ewig über Qualtiätsminderung und kleinere Packungsgrößen dämpfen lassen. Selbst produzierte Nahrung hat einen festen Preis. Die Zeit, welche man braucht um einen Garten zu bewirtschaften, ändert sich nicht, egal wie Euro oder Dollar gerade stehen.
  • Günstiger und besser Essen: Gesunde Nahrung ist oft schwer zu bekommen, leidet dank wiederholter Lebensmittelskandale unter einem Glaubwürdikeitsproblem und verursacht erhebliche Zusatzkosten. Eine Lasagne aus eigener Produktion enthält nur dann Pferdefleisch, wenn man das auch so beabsichtigt hat.
  • Regionale Wirtschaft stärken: Selbstversorgung fördert lokales wirtschaften und schafft regionale Wertschöpfung. Selbstversorger kaufen fast zwangsläufig von regionalen Anbietern. Im Gegensatz zur Salatgurke aus dem Supermarkt kommt das Bio-Gurkensaatgut für den eigenen Garten eben nicht aus Chile. Fotovoltaikanlagen werden in der Regel auch von einem Fachmann aus der Gegend installiert. Überschüsse aus der eigenen Produktion landen als Geschenk/Tauschobjekt oder Handelsware ebenfalls wieder auf dem lokalen Markt und regen so nachhaltige Wirtschaftskreisläufe an.
  • Mehr Ernährungs- und Energiesicherheit: Je komplexer ein System wird, desto anfälliger für Katastrophen ist es. Dieser Trend ist nur sehr schwer umkehrbar. Die Liste potenziell verheerender Ereignisse, welche zu einem beinahe unumkehrbaren Zusammenbruch unserer Gesellschaft führen würden, wird immer länger und die möglichen Auslöser immer trivialer. Vor einigen Jahren sorgte der Ausfall einer einzigen Stromleitung in Norddeutschland für Stromausfälle in ganz Europa. Was passiert, wenn zwei oder drei Leitungen gleichzeitig ausfallen? Oder die Sonne sich entschließt, aus ihrer relativen Ruhephase zu kommen und mal wieder eine „ordentliche“ Eruption in unsere Richtung zu schicken (so wie zuletzt 1859)?
  • Kein Europa der Konsumenten: Manchmal hat man das Gefühl, die „westliche Welt“ besteht nur noch aus Konsum und Dienstleistung. Produziert wird ausschließlich woanders. Leben wir nurmehr von der Ausbeutung ärmerer Länder? Egal womit die ersten Schritte zu mehr Selbstständigkeit beginnen, es fühlt sich gut an, wirklich etwas „echtes“ zu produzieren.

Es gibt also viele Gründe, warum mehr Unabhängigkeit und Selbstständigkeit in Sachen Energie und Ernährung Sinn ergeben. Für alle gilt aber gleichermaßen: Nur darüber nachzudenken ändert nichts. Egal wie klein die ersten Ansätze auch ausfallen mögen, um tatsächlich etwas zu verändern müssen wir handeln. Wer heute damit anfängt, hat Morgen bereits einen Vorsprung.

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